Archiv 2017-06

Schreibtipps vom Horrormeister
Seitdem ich den Film „Shining“ gesehen habe, war der Schriftsteller Stephen King für mich abgehakt. Nach diesem verstörenden Psychothriller fühlte ich mich außerstande, auch nur eine Romanseite von ihm zu lesen. Bis auf eine Ausnahme: „On Writing – A Memoir of the Craft“ („Das Schreiben und das Leben“) ist ein Buch, das im Zusammenhang mit dem Handwerk des Schreibens so oft zitiert wird, dass es meine Neugier weckte.
Kings Schreibratgeber beginnt autobiografisch. Zunächst erzählt er aus seiner Kindheit in Stratford / Conneticut und von seiner wachsenden Leidenschaft für Comics, Science-Fiction, Fantasy und Horrorgeschichten, die ihn zum Schreiben animierte. Er lernt Tabby kennen, seine künftige Ehefrau und „Ideal Reader“, die seine Manuskripte so ehrlich und kritisch beäugt wie einst Alma die Werke ihres Ehemannes Hitchcock. King führt das typische Leben eines Schriftstellers, der ständig in Geldnot ist, eine Geschichte nach der anderen an Magazine verschickt und bei jeder Veröffentlichung mit seiner Frau einen Jubeltanz vollführt.
Auch für Leser, die seine berühmten Romane wie „Carrie“ oder „Christine“ nicht gelesen haben, sind seine Rückblicke sehr interessant. Er lässt uns an seinen Schreiberfahrungen teilhaben und gibt viele nützliche Tipps. Einer davon, der mir gut gefällt, ist „Write with the door closed, rewrite with the door open.“ Mit anderen Worten: Schreib’ erst einmal alles ohne Zensur nieder, nur für dich allein. Erst im zweiten Schritt bezieht man den Leser mit ein und schreibt die Geschichte für ihn um. Romane sind für ihn wie Briefe an eine Person, die man als idealen Leser vor Augen hat. King motiviert uns, über Dinge zu schreiben, die wir lieben, statt beliebte Themen zu wählen oder den Stil anderer zu kopieren.
Auch das Handwerkszeug kommt in diesem Buch nicht zu kurz. Auf Adverbien zu verzichten, stimmige Metaphern einzusetzen und die Vorgeschichte kurzzuhalten, zählen zu den Regeln, die man auch aus anderen Ratgebern kennt. Bei Stephen King klingt alles so einfach: Man setze zwei oder mehrere Charaktere einer bestimmten Situation aus und beobachte, wie sie interagieren, sich entwickeln und wachsen. Seiner Meinung nach wird der Plot überbewertet. Er selber habe nie den Aufbau einer Geschichte mit sämtlichen Wendepunkten und Spannungskurven vorher geplant. Bewährt hat sich dagegen der Ansatz „What if“, der ihm beim Duschen, Autofahren oder Spazierganz jede Menge Ideen für Geschichten bescherte. Einen Rat vom Meister des Horrorgenres kann ich jedenfalls ganz mühelos umsetzen: so viel und oft wie möglich zu lesen und zu schreiben.

Lesen, um zu leben
Facebook, Instagram, Video on Demand, Bloggen … Immer wieder wird es neue Arten der Freizeitbeschäftigung geben. Was sich in den letzten Jahrhunderten jedoch kaum verändert hat, ist die Leidenschaft für Bücher. Das sollten wir am Tag der Münchner Buchhandlungen feiern! Besonders Frauen lasen seit jeher „um zu leben“, wie es Stefan Bollmann ausdrückt. Was er damit genau meint und wie die Macht und Magie des Lesens ihren Anfang nahm, erläutert der Schriftsteller in seinem sehr aufschlussreichen Panorama mit dem Titel „Frauen und Bücher. Eine Leidenschaft mit Folgen“.
Wir erfahren, dass Mitte des 18. Jahrhunderts durch Klopstock die erste Dichterlesung erfunden wurde und Literatur in großstädtischen schöngeistigen Zirkeln wie im Pariser Hotel Rambouillet rezitiert und zelebriert wurde. Durch das Lesen konnten Frauen den engen Rahmen ihres Alltags und ihrer Rolle sprengen, sich ihren Gefühlen hingeben und auf eine neue Art das Leben genießen. Chronologisch stellt der Autor Persönlichkeiten vor, die einen bedeutenden Einfluss auf die weiblichen Lesegewohnheiten und die Emanzipation in dem betreffenden Jahrhundert hatten, darunter Mary Wollstonecraft, die erste professionelle Rezensentin der Mediengeschichte oder Jane Austen, die mit ihren romantischen Klassikern die Unabhängigkeit des Denkens und der Lebensführung fördern wollte. Wer hätte gedacht, dass der Nährboden für die heute so gefragten Lebensratgeber bereits Mitte des 19. Jahrhunderts durch E. Marlitt vorbereitet wurde. Sie führte den ersten Serienroman ein, ermunterte ihre Leserschaft, ihre Gestaltungsspielräume und Ressourcen wahrzunehmen und zu nutzen und avancierte nicht nur zur ersten deutschen, sondern auch ersten internationalen Bestsellerautorin.
Der Ausflug nach Bloomsbury ins Jahr 1910 vermittelt uns den intellektuellen Geist, der in den Literaten- und Künstlerzirkeln herrschte, und eine neue ungezwungene und unabhängige Lebensweise. Besonders spannend liest sich das Porträt von Sylvia Bean, Gründerin der berühmten Buchhandlung „Shakespeare and Company“ in Paris. Bean war nicht nur Buchhändlerin und Ein-Buch-Verlegerin, sondern auch Netzwerkerin, die Menschen und Bücher, Schriftsteller und Leser, Autorinnen und Autoren verschiedener Nationen zusammenbrachte. Diese vergnügliche und informative Reise in die Literaturgeschichte und die Gefühlswelt weiblicher Leserinnen, in denen ich mich sehr häufig wiedererkannt habe, kann ich allen Leseratten wärmstens empfehlen. Ich schmökere derweil als nächstes in seinen vorangegangenen Bildbänden, in denen der Autor lesende Frauen in der Malerei kommentiert.

Das Architektur-Rätsel geht weiter
Wie auf der Apple WWDC 2017 angekündigt wurde, gibt es eine Fortsetzung des Spiels Monument Valley! Im ersten Teil navigierten wir eine Prinzessin durch das faszinierende Abenteuer-Puzzle, begleitet von störrischen Krähen, die mir jetzt noch in den Ohren klingen. Der zweite Teil erzählt die Geschichte von Ro und ihrer kleinen Tochter, die gemeinsam auf Entdeckungsreise gehen. Das Spiel lebt wieder von seiner mystischen Atmosphäre und den gelungenen optischen Täuschungen. Durch Drehen und Wenden der Elemente erscheinen ganz unerwartet neue Wege und Perspektiven. Jeder Level, den man erreicht, ist eine Einladung in eine neue magische Landschaft mit unterschiedlichen Architekturstilen und rätselhaften geometrischen Gebilden. Der Augenblick, wo Mutter und Tochter plötzlich getrennt werden, ist so ergreifend, dass ich mich frage, wie ein digitales Spiel allein durch Gestik der Figuren und der Dramaturgie so starke Emotionen auslösen kann. Auch wenn die Levels diesmal nicht so knifflig sind, haben sich die kreativen Entwickler von Ustwo-Games wieder richtig ins Zeug gelegt, um ihre Fans zu begeistern.

Hablo un poco español
Wie bringe ich auf die Schnelle meine verrosteten Spanischkenntnisse auf Vordermann? Als ich mir diese Frage vor unserem Urlaub Richtung Costa Blanca stellte, fielen mir gleich mehrere Optionen ein.
Da wäre zunächst das schön illustrierte Buch „Spanisch lernen – Bild für Bild“, das ich mir vor einer Ewigkeit zugelegt habe. Bekanntlich lernt man mit visueller Unterstützung schneller. Macht richtig Spaß, wieder darin zu blättern, weil die Zeichnungen so nett sind. Wenn ich das Buch durchhabe, müsste ich mich so ziemlich in jeder Lebenslage verständigen können.
Visuell ist gut, aber akustisch noch besser. Daher habe ich mir noch eine ganze Reihe von Podcasts heruntergeladen, darunter „Learn Spanish – Survival Guide“ und „Coffee Break Spanish“. So konnte ich schon einige Autofahrten sinnvoll nutzen, musste aber leider feststellen, dass meine Lücken doch nicht so schnell zu füllen sind.
Wahrscheinlich hätte ich schon etwas eher anfangen sollen und meine Kenntnisse online auffrischen, zum Beispiel auf dem Forum Super-Spanisch.de, das neben Online-Kursen auch nützliche eBooks, Vokabel-Kreuzworträtsel und Reisetipps bietet.
Es könnte also noch eine Weile dauern, bis ich das Buch „Die Stadt der wilden Götter“ von Isabel Allende im Original mühelos lesen kann. Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich den Roman zu unserem letzten Spanienurlaub gekauft, aber nur das erste Drittel geschafft. Vielleicht halte ich diesmal durch … am besten beginne ich erst einmal mit Small Talk vor Ort. Wenn man in die Landessprache heineinschnuppert, macht das Reisen gleich noch mehr Spaß.

Eco und retro
Mein Faible für schöne Bleistifte habe ich sicher schon erwähnt. Ein besonders schönes Exemplar entdeckte ich kürzlich in einer Thalia Buchhandlung in Düsseldorf. So ganz ignorieren kann man die zunehmenden Verkaufsstände in Buchhandlungen mit Dekoobjekten, Taschen und Kaffeebechern ja nur schwer, obwohl man sich eigentlich nur nach Büchern umsehen möchte ... Schon gar nicht, wenn man auf so ein schönes Schreibwerkzeug stößt wie den STABILO GREENgraph. Die stilvolle Farbkombination im Retro-Look und die klassische Kantenform mit Matt-Lackierung haben es mir angetan. Der Bleistift mit HB-Mine ist nicht nur schön, sondern zu hundert Prozent aus FSC®-zertifiziertem Holz hergestellt.
Ich bin mir sicher, dass der GREENgraph auch von der „pencil lady“ Caroline Weaver, von der ich kürzlich berichtete, entdeckt und in ihrem Bleistil-Eldorado in New York würdevoll aufgenommen wurde. Dieser Stift kombiniert mit einem schlichten Muji Notizheft zählt nun zu meinem ständigen Begleiter und wandert auch in die Reisetasche nach Spanien. Gut, dass ich mir gleich einen Dutzend als Reserve zugelegt habe.

Spannende Zeit- und Weltreise
Aufräumtipps, Ordnungssysteme und minimalistischer Lebensstil sind beliebte Themen in der Ratgeberszene. Parallel wird heftig über die Konsumethik und Wegwerfgesellschaft diskutiert. Sind dies Reaktionen darauf, dass die Dinge die Herrschaft übernommen haben? Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Frank Trentmann, Professor für Geschichte am Londoner Birkbeck College, wollte es genau wissen und blickt in seinem opulenten Werk „Herrschaft der Dinge“ auf 500 Jahre Konsumgeschichte zurück. Dabei macht er immer wieder deutlich, wie die Identität einer Person, einer gesellschaftlichen Schicht, sogar einer Nation, deren Politik und Wirtschaft maßgeblich von dem bestimmt wurden, was und wie sie konsumierte.
Im ersten Teil reisen wir zurück in die Zeit der Italienischen Renaissance, erleben den Aufstieg der Städte durch den Luxusgüterhandel und erfahren, wie Gegenstände immer kunstvoller und kostbarer gestaltet wurden. Die Entwicklung der Wohnkultur und der rasante Anstieg von Waren wie Spiegel, Bücher und Kochtöpfe werden in Grafiken veranschaulicht. Erstaunlich, welche Macht und Folgen schon damals Güter auf das Alltagsleben hatten. Sie erhöhten nicht nur den Komfort im Alltag, sondern gaben dem Menschen Selbstwertgefühl, verhalfen zu mehr Anerkennung und trugen sogar eine kulturelle Komponente. So übten die beliebten Kaffeehäuser gleich mehrere Funktionen aus: Sie waren Nachrichtenbörse, Handelsplatz und Hochschule in einem.
Während der Lektüre wird einem erst richtig bewusst, wie weitreichend der Begriff Konsum ist. Er betrifft nicht nur die Anschaffung und Anhäufung von materiellen Dingen, sondern auch die Zeitnutzung, städtische Freizeitbeschäftigung und Mediennutzung. Der Autor zeigt dabei interessante Wechselwirkungen auf: Effizienz und Ersparnisse in einem Lebensbereich können vermehrten Konsum in einem anderen Bereich auslösen. Er geht auch auf Zeitgenossen ein, die die Entwicklung kritisch betrachteten – zum Beispiel der Schriftsteller Henry James, der die Psyche des Konsumenten als Sammler bloßlegte. Frank Trentmann dagegen behält durchgehend einen neutralen Standpunkt und geht in seinem historischen Rückblick auf maßlose Luxusgier ebenso ein wie auf den schlichten Wunsch, anständig auszusehen und Dinge wertzuschätzen.
Ich bin zutiefst beeindruckt, wie detailreich seine Ausführungen sind. Konkrete Beispiele, zum Beispiel welche ausländischen Seifenmarken im indischen Punjab der heimischen Marke vorgezogen wurden, oder wie japanische Jugendliche einen ganz neuen Markt durch einen besonderen Look schafften, machen das Buch zu einer spannenden und unterhaltenden Zeit- und Weltreise. Frank Trentmann ist vermutlich der erste, der die Geschichte des Konsums aus derart vielen Perspektiven unter die Lupe genommen hat: von der historischen Entwicklung über den Ländervergleich bis hin zum altersspezifischen Konsumverhalten. Dabei lässt es der Autor nicht bewenden. Im zweiten Teil des Werks rollt er das Thema genau umgekehrt auf, geht auf die aktuelle Debatte über Konsum und die Konsequenzen für die Umwelt ein und richtet seinen Blick zurück, um Erklärungen für die heutigen Phänomene zu finden und uns für die zu erwartenden Probleme in der Zukunft zu sensibilisieren. Um einen derart umfassenden Überblick zu bekommen, hätte man sicher zig Bücher lesen müssen. Frank Trentmann hat sehr viel Wissenswertes für uns in einem Werk zusammengefasst. Für die Lektüre sollte man sich Zeit nehmen. Es lohnt sich!

Hundert Dollar und eine Umarmung
Es kann so einfach und schön sein, anderen Menschen zu helfen. Warum tun wir es dann nicht viel öfters? Diese Frage stellt man sich unweigerlich nach der Lektüre von „Bevor du weitergehst“. Die amerikanische Autorin Lauren Schroff tat einst etwas Kleines, aber Entscheidendes, bevor sie weiterging auf dem Broadway und schrieb ein Buch darüber mit dem Titel „Immer montags beste Freunde“. Es handelt davon, dass sie einen elfjährigen bettelnden Jungen zu einem Mittagessen einlud und aus dieser emphatischen Geste eine lebenslange Freundschaft entstand. Das Buch inspirierte zahlreiche Leser, der Autorin von ähnlichen Geschichten zu berichten.
30 kurze Schicksalsberichte hat Lauren Schroff in ihrem zweiten Buch zusammengetragen und in unterschiedliche Themenschwerpunkte wie Bejahung, Einzigartigkeit und Verbundenheit gegliedert. In allen Geschichten geht es um ‚unsichtbare Bänder’, die zwei fremde Menschen schicksalhaft zusammenführt. Die erste spielt in einem Supermarkt in Tucson, Arizona und war so ergreifend, dass sie mir Tränen in die Augen trieb. Manche Berichte, die sich in ihrem Schema ähnelten, empfand ich als etwas redundant. Sehr oft handeln sie von bedürftigen Kindern, die durch einen Akt der Freundlichkeit in den Genuss einer Mahlzeit, anständigen Kleidung, schönen Sommerferien oder einer vorübergehenden Bleibe kamen. Die Autorin legt ihren Fokus vor allem darauf, wie aus winzigen Momente große Wendepunkte wurden, in denen eine einfache Handlung weitreichende Veränderungen auslöste – und zwar für beide Seiten. Die Empfänger der spontanen Hilfeleistungen wurden für ihr weiteres Leben geprägt und nutzten die nächste Gelegenheit, um sich für die Wohltat zu revanchieren. Auf die Weise stößt ein Akt der Nächstenliebe oftmals einen neuen an. Diejenigen, die helfen, macht es glücklich, dass sie jemandem eine Freude bereiten können. Eine Umarmung aus tiefsten Herzen kann ihnen mehr bedeuten, als Hundert Dollar, die sie gestiftet haben. Diese Erkenntnis ist sicher nicht neu, doch die Schilderungen machen deutlich, warum die Menschen so empfinden. Jeder trägt eine tiefe Sehnsucht nach bedeutsamen, wahrhaften Bindungen zu ihren Mitmenschen. Wir verpassen nur allzu oft die Möglichkeit, solche Bindungen einzugehen, die unsere Entwicklung und unser Glück fördern. Oder nehmen die Wohltaten, die uns zuteil werden, für selbstverständlich.
Das Besondere an dieser Sammlung sind nicht nur die Geschichten, die uns ermutigen, auf unser Mitgefühl zu besinnen, sondern die abschließenden Reflexionen und Kommentare der Autorin nach jeder Episode. Sie stellt heraus, was wir daraus lernen können und regt dazu an, auch einmal etwas Unkonventionelles zu tun, da man Nächstenliebe nicht aus dem Lehrbuch lernen könne. Nur dann kommt man wohl auf so eine brillante Idee wie das Pyjama-Projekt, das mich besonders begeistert hat. Lest am besten selbst!

Verlorene Dinge und neue Chancen
Wieder einmal machte ich literarische Bekanntschaft mit einem verrückten Sammler. In „Die wunderbare Reise eines verlorenen Gegenstands“ von Salvatore Basile war es ein Bahnhofswärter, der seine Wohnung mit Fundsachen vollstopfte. "The Keeper of Lost Things" („Mr. Peardews Sammlung der verlorenen Dinge“) von Ruth Hogan handelt von Gegenständen, die Anthony Peardews in Straßen findet und sorgfältig archiviert in der Hoffnung sie eines Tages ihren Besitzern zurückgeben zu können. Dass sich dahinter ein noch einzulösendes Versprechen verbirgt, ahnt seine Assistentin Laura nicht, als Peardews verstirbt und ihr sein gesamtes Hab und Gut vererbt. In seinem Testament bittet er sie lediglich, seine Lebensaufgabe fortzuführen.
Das ist leichter gesagt als getan. Als Laura die Schränke und Schubladen voller Keksdosen, Ringe, Mäntel und Untertassen inspiziert, fühlt sie sich überfordert. Dabei liegt ihr sehr viel daran, diese verantwortungsvolle Aufgabe in Peardews Sinne fortzuführen. Nach einer überstürzten und gescheiterten Ehe in jungen Jahren war sie von ihm voller Güte aufgenommen worden. Das Haus Padua ist für sie seitdem eine Zuflucht vor der verrückten Welt, ein Ort des Trostes und der Heilung. Bildhaft und atmosphärisch führt uns die Autorin gleich am Anfang in den Schauplatz der Geschichte ein – ein Anwesen voller Erinnerungen an das glückliche Paar Anthony und seiner verstorbenen Frau Therese, aber auch voller Fragmente aus Leben fremder Menschen, die die Fundsachen widerspiegeln. Wie soll Laura all die Dinge mit ihren Besitzern zusammenführen? Immerhin ist sie nicht allein – der Gärtner Freddy, in den sie sich verliebt, unterstützt sie mit einer Website.
Sehr originell fand ich die Idee, den Roman mit eingestreuten Kurzgeschichten aufzulockern, die der verstorbene Peardews zu den einzelnen Objekten geschrieben hat, zum Beispiel eine Story über einen weißen Schirm mit roten Herzen, den er eines Tages im Central Park fand. Während der Lektüre dachte ich über meine eigene Beziehung zu Gegenständen und Erinnerungsstücken in unserem Haus nach und mir wurde bewusst, dass sie oft nicht die Wertschätzung bekommen, die sie verdienen. Ermutigt durch ihre Freundin Sarah schafft es Laura schließlich, ihre die Verletzungen in ihrer Vergangenheit loszulassen und die Chance auf einen neuen aufregenden Lebensabschnitt dankbar anzunehmen. Aus dem Ort der Zuflucht wird ein Ort, der neue Träume entstehen lässt. Eine sehr schönes Bild und viele lebensbejahende Botschaften, die Ruth Hogan in eine wunderbar altmodische und herzerwärmende Geschichte verpackt hat. Interessant ist, dass sie selbst begeisterte Sammlerin von Fundstücken ist. Mit ihrem Mann und drei Hunden lebt sie in einem viktorianischen Haus in Bedford und begann nach einer Krebserkrankung mit dem Schreiben.

Schauspielen war ihr Lebenselixier
Wenn ich an alte Hollywood-Filme denke, fallen mir eine ganze Reihe von bildschönen Schauspielerinnen ein. Ingrid Bergman gehört ganz sicher dazu – sie war jedoch nicht nur schön und talentiert, sondern hatte etwas ganz Besonderes an sich, was sie von ihren Kolleginnen unterschied. Diesem ‚Phänomen namens Bergman‘ geht der deutsche Autor und Journalist Thilo Wydra in der 750 Seiten starken Biografie „Ingrid Bergman“ auf den Grund und zeigt uns, wie einzigartig nicht nur ihre Persönlichkeit und ihr Ruhm, sondern auch ihr Lebensweg war.
Schon in jungen Jahren verlor Ingrid Bergman ihre deutsche Mutter und schwedischen Vater und wuchs bei Onkel und Tante auf, wo sie sich ausgegrenzt fühlte. Sie sehnte sich nach Liebe und Geborgenheit, aber auch nach Künsten und dem Schauspiel als Lebensersatz. Sicher wäre sie noch eine Weile bei der UFA in Berlin geblieben, hätte David O. Selznick sie nicht entdeckt. Der ehrgeizige amerikanische Filmproduzent holte sie nach Hollywood, um neben Vivien Leigh, Joan Fontaine und Jennifer Jones auch aus ihr einen großen Star zu machen. Er nahm sogar in Kauf, dass Ingrid sich nicht dem Schönheitsideal unterwarf, sondern ihr natürliches Aussehen behalten und auch einmal böse Rollen spielen wollte.
Was für ein Glück, dass Thilo Wydra Zugang zum Nachlass der Schauspielerin hatte, darunter ihre ‚Acting Diaries‘ und Notizhefte. So erleben wir hautnah wichtige Stationen ihres Lebens wie die Überfahrt nach Hollywood, die erste Begegnung mit Hemingway in San Francisco, ihre Liebschaft mit Gary Cooper oder die Entstehungsgeschichte von Casablanca. Der Biograf setzt ihre Zitate sowie Kommentare von Ingrids Tochter Pia oder Daniel Selznick, dem Sohn des Filmproduzenten, sprachlich und dramaturgisch elegant zusammen, so dass wir Ingrids Leben aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und verfolgen können. Besonders gut gefiel mir, dass der Autor seinen Fokus darauf richtet, die Beweggründe der Schauspielerin zu vermitteln und ihr Verhalten begreiflich zu machen, das in der Öffentlichkeit höchst umstritten war: zum Beispiel, dass sie ihre Familie in Schweden zurückließ, um in Hollywood „etwas Bedeutsames“ zu schaffen, oder dass sie Hollywood den Rücken kehrte, um mit ihrer großen Liebe Roberto Rossellini in Italien neu anzufangen. Der internationale Weltstar spielte nicht nur im Film gern unangepasste Rollen, sie setzte auch im wahren Leben ihren Kopf durch, egal was die Leute über sie redeten. Immer wieder stürzte sie sich in die Arbeit – sie war ihr Lebenselixier. Dass sie so offen war für neue ungewöhnliche Stilmittel wie die surrealen Arbeiten von Dalí in Hitchcocks „Ich kämpfe um dich“ – einem meiner Lieblingsfilme – macht sie für mich sehr sympathisch.
Die Kenntnisse des Autors über die Filmszene und Akteure vor und hinter der Kamera sind beeindruckend. Wydra gibt viele Filme inhaltlich wieder und stellt dabei die darstellerische Leistung Bergmans detailliert heraus. Der Kontrast zwischen dem perfekt durchstrukturierten Studiosystem Hollywoods und dem dokumentarischen und improvisierenden Stil Rossellinis muss für die Schauspielerin extrem gewesen sein. Doch Extreme waren ein Markenzeichen ihres Lebens – zwischen sakraler Erhöhung durch Medien und Publikum und moralischem Fall, zwischen Schüchternheit im Privatleben und Durchsetzungsvermögen im Beruf. Vom Umfang der Biografie war ich anfangs leicht abgeschreckt, doch ich habe jede Zeile dieses Buches genossen und bin dankbar, dass mir das ‚Phänomen namens Bergman‘ so spannend und emotional ergreifend nahegebracht wurde.

Gebrauchsanleitung für Reiselustige
Die große Reisewelle hat begonnen. Familien, die die Pfingstferien nutzen, machen sich bald auf den Weg; andere, die nicht auf die Ferienzeit angewiesen sind wie wir, brechen zwischen Pfingst- und Sommerferien auf. Wie haben eigentlich Dichter und Denker der Vergangenheit und Gegenwart über das Reisen gedacht? Wie haben sie Reiseabenteuer bewältigt und fremde Länder und Städte erlebt? All das kann man in dem kleinen, aber feinen Büchlein „Kleine Weisheiten für Reiselustige“ nachlesen. Das Buch widmet sich verschiedenen Aspekten und Etappen des Reisens wie Vorbereitung und Aufbruch, Reisemittel und Reisewege, Begegnungen und Eindrücke unterwegs sowie Heimkehr und Nachwirkungen. Über diese Themen haben schon berühmte Philosophen und Schriftsteller wie Seneca, Wilhelm Raabe, Michel de Montaigne oder Walter Benjamin reflektiert. Sehr oft kommt Johann-Wolfgang Goethe zu Wort, dessen Begeisterung für das Reisen und für Italien ja bekannt ist. Das Angenehme auf Reisen ist, dass auch das Gewöhnliche durch Neuheit und Überraschung das Ansehen eines Abenteuers gewinnt, schreibt er.
Ähnlich äußert sich auch der japanische Dichter Kenkô. Eine Weile von zu Hause wegzugehen frische die Lebensgeister auf, da man in der Fremde auf viel mehr Dinge achte als in der Heimat. Für Elias Canetti werden Länder, Inseln und Orte erst lebendig, wenn er einem Menschen begegnet, der von dort stammt. Doch nicht alle machen positive Erfahrungen. Für Theodor Fontane zum Beispiel heißt reisen in den meisten Fällen, sich zu ärgern. Wilhelm Raabe stellt kritisch fest, dass man nicht mehr vom Reisen, sondern von einer Reiserei sprechen müsse. Wer sich mit sich selbst nicht langweilt, müsse gar nicht reisen, meint Gabriel Laub nüchtern. Es ist interessant zu lesen, welche ersten Reiseeindrücke Goethe in Bozen, Franz Grillparzer in Paris oder Joseph Roth in Avignon hatte. Manche Empfindungen sind auch heute noch gut nachvollziehbar. Die tiefsinnigen Gedanken über Heimat und Fremde und das Bild von der Reise als Lebensreise sind eine gute Einstimmung auf den nächsten Urlaub.