Archiv 2017-03

Schwerer Abschied
Kennt Ihr das Gefühl, dass Euch ein Urlaubsort so gut gefällt, dass Ihr noch eine ganze Weile dort verweilen möchtet? So ging es mir in den letzten Wochen mehrmals – allerdings handelte es sich um keine realen Orte, sondern um Romanwelten, die ich nur ungern verlassen wollte.
So fiel mir der Abschied von Michele und Elena, Protagonisten in dem Roman „Die wundersame Reise eines verlorenen Gegenstands“ von Salvatore Basile, den ich Euch vor ein paar Tagen vorstellte, wahnsinnig schwer. Zu gern hätte ich gewusst, wie es mit dem ungleichen Paar, das nach zahlreichen Turbulenzen zueinander fand, weitergeht. Auch mehrere Tage nach der Lektüre schweiften meine Gedanken zum Schauplatz Miniera di Mare, ich stellte mir vor, wie das Paar auf dem Bahnsteig frische Austern verzehrte und mit dem Zug die Gegend erkundete.
Die Bilder von den Küstendörfern verblassten erst, als mich ein neuer Roman völlig in seinen Bann zog. Nach der Lektüre von „Das geheime Leben des Monsieur Pick“ von David Foenkinos wollte ich auf der Stelle nach Finistère, um mir die Bibliothek der abgelehnten Manuskripte anzusehen und ein paar Texte aus meinen Schubladen hineinzuschmuggeln. Selbstverständlich hätte ich Madame Pick einen Besuch abgestattet, um ihren bretonischen Charme live zu erleben und von ihrem grässlichen Kamillentee zu kosten. Bei der Aufnahme der Literatursendung wäre ich zu gern dabei gewesen. Ich hätte mich in der Crêperie, die neuerdings auch Pizzen verkauft, beköstigen lassen und amüsiert den Ansturm auf das Grab von Monsieur Pick beobachtet. Lange hing ich den Erinnerungen nach und rekapitulierte schöne und lustige Szenen.
Beide Bücher, die ich jeweils an einem Wochenende verschlungen habe, waren wie aufregende Kurzurlaube, die man mit höchster Intensität erlebt. Leider konnte ich keine Urlaubsfotos machen, doch mit Fantasie lassen sich die Bilder im Kopf immer wieder neu zum Leben erwecken.

Bibliothek der Verschmähten
Enttäuschte Schriftsteller aufgepasst! Es gibt eine Bibliothek, die von Verlagen abgelehnte Manuskripte in ihren Bestand aufnimmt: die Richard Brautigan Library an der amerikanischen Westküste. Diese inspirierte den französischen Schriftsteller David Foenkinos dazu, eine fiktive französische Version ins Leben zu rufen, angesiedelt im bretonischen Finistère, Schauplatz seines jüngsten Werks „Das geheime Leben des Monsieur Pick“.
Autoren pilgern scharenweise zu dieser Bibliothek der Verschmähten, um ihre unveröffentlichten Geschichten dort abzuliefern und ihre Hoffnung auf eine Veröffentlichung endgültig zu begraben. Die Stätte weckt auch das Interesse der Hauptfigur Delphine Despero, die nicht nur aus dieser Gegend stammt, sondern als ambitionierte Junior-Lektorin beim Pariser Verlag Grasset stets auf der Suche nach potenziellen Bestsellern ist. Mit ihrem Freund und Schriftsteller Frédéric besucht sie ihre Familie, besichtigt die Bibliothek und überrascht alle Einheimischen mit der Nachricht, sie sei auf ein wahres Meisterwerk gestoßen. Anfangs ist die Skepsis groß, ob die Geschichte „Die letzten Stunden einer großen Liebe“ tatsächlich wie auf dem Manuskript vermerkt aus der Feder des verstorbenen Henri Pick stammt, zumal dieser als Pizzabäcker ein eher unauffälliges Leben führte und laut seiner Frau weder las noch schrieb. Doch der Medienrummel und das zunehmende Interesse für diese ungewöhnliche Story rund um den mysteriösen Henri Pick räumen die Zweifel allmählich aus. Dank Delphines Vermarktungskünsten wird das Werk nicht nur ein Mega-Bestseller – es verändert auch die Menschen und bringt sie dazu, ihr Leben umzukrempeln.
Großes Kompliment an David Foenkinos, der nicht nur eine wunderbare Romanidee umgesetzt, sondern eine wahre Schatztruhe für Buchliebhaber zu Papier gebracht hat. Die Geschichte funkelt nur so vor Seitenhieben auf die schreibende Zunft, den Literaturbetrieb und die Leserschaft. Fast jedes Glied der Kette bekommt sein Fett weg: der Schriftsteller, der gar nicht oder nur für kurze Zeit oder völlig ohne Grund zu Ruhm gelangt; der Verlag, der mit allen PR-Raffinessen ein Manuskript auszuschlachten weiß; der Leser, der sich mehr für die Geschichte hinter der Geschichte interessiert; der abgehobene Literaturkritiker, dessen Meinung niemanden mehr interessiert. Auch die vielen Anspielungen auf die Literaturszene, zum Beispiel, dass hinter jedem erfolgreichen Schriftsteller eine starke Frau stehe, bringen den Leser zum Schmunzeln.
Der Rundumschlag gelingt dem Autor mit spielerischer Leichtigkeit, Feinsinn und Expertise, gewürzt mit bretonischem Flair. Trotz des fast schelmischen Tons bringt er durch gefühlvolle Formulierungen wie „schutzbedürftige Manuskripte“ seine Liebe zum Geschriebenen immer wieder zum Ausdruck.

Zu intelligent für die Menschheit
Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich den Roman „The Beach“ des britischen Schriftstellers Alex Garland gelesen habe. Nun hatte ich das Vergnügen, sein Regiedebüt mit dem Titel „Ex Machina“ aus dem Jahr 2015 zu sehen. Ähnlich beklemmend wie sein bekanntes Buch ist auch dieser Science-Fiction, der in Alaska spielt. Mitten in der wilden Natur hat Nathan, CEO des Internetunternehmens Blue Book, ein durchgestyltes modernes Anwesen errichten lassen und treibt in einem unterirdischem Forschungslabor sein Unwesen – genauer gesagt, er arbeitet daran, die perfekte Künstliche Intelligenz zu schaffen. Seine neueste Schöpfung heißt Ava.
Eines Tages bekommt Nathan Gesellschaft. Caleb, Top-Programmierer von Blue Book, hat bei einem firmeninternen Wettbewerb einen Trip gewonnen und soll überprüfen, wie gut Nathan die Erschaffung des perfekten künstlichen Menschen geglückt ist. Sieben Tage lang führt Caleb in einem abgeschlossenen Raum Gespräche mit der Roboterfrau Ava, entwickelt allmählich Gefühle für sie und kann sie bald von einem menschlichen Wesen nicht mehr unterscheiden. Indessen wächst sein Misstrauen gegenüber Nathan, der völlig begeistert ist von seinen Kreationen und seinen Größenwahn offen zur Schau stellt.
Der Film ist tricktechnisch und ästhetisch beeindruckend inszeniert, wendungsreich und lebt von seinen starken Kontrasten – zum Beispiel zwischen dem gewaltigen Naturschauspiel draußen und der klaustrophobischen Atmosphäre in der Villa, zwischen dem animalischen Nathan und dem mimosenhaften Caleb, zwischen Steuerung und Verführung, zwischen Kreation und Zerstörung.
Zuletzt stellt sich die Frage: Was ist, wenn das erschaffene Wesen so schlau ist, dass es den Menschen austricksen kann? Der Film macht wieder einmal deutlich, dass, ähnlich wie beim Vormarsch der Intelligenten Häuser, die Menschen ihre Ängste vor einem Kontrollverlust und den zerstörerischen Konsequenzen nie ganz ablegen können.

Reise in die Welt der Muße
Müßiggang erscheint uns in der heutigen Zeit wie ein rares Luxusgut. Im streng getakteten Alltag erfordert es viel Aufwand und Kreativität, sich kleine Ruhe-Inseln einzubauen. Dass sich die Mühe dennoch lohnt, zeigt uns Nicole Stern in ihrem Buch „Das Muße-Prinzip – Wie wir wirklich im Jetzt ankommen“.
Durch die plötzliche Krebserkrankung ihrer Mutter, war die Autorin bereits mit siebzehn Jahren gezwungen, ihre Prioritäten im Leben neu zu ordnen. Sie interessierte sich immer mehr dafür, wie Menschen mehr Gelassenheit, Leichtigkeit und innere Freiheit in ihr Leben bringen können und erkannte, dass die Muße eine wesentliche Voraussetzung dafür war. Auch für sie war es ein weiter Weg, bis sie „im Jetzt ankam“. Die Stationen, die sie durchlief bis zu ihrer heutigen Tätigkeit als Dharma- und Meditationslehrerin, Autorin und Achtsamkeitstrainerin schildert Nicole Stern in ihrem Ratgeber, der zugleich auch ein sehr persönlicher Erfahrungsbericht ist.
Kann man Muße lernen? Um dies herauszufinden, gönnte sie sich zunächst eine dreimonatige Auszeit in Goa und begab sich im Anschluss in ein bewährtes Trainingslager: ein buddhistische Kloster. Dort machte sie sich mit der zen-typischen Meditationspraxis vertraut und lernte einen Alltag kennen, der von großer Disziplin und ständiger Wiederholung und Verfeinerung bestimmter Rituale geprägt war. Fortschritte und Rückschläge, die sie dabei erlebte, schildert sie so offen und hautnah, dass man ihre ehrlichen Empfindungen wie Dankbarkeit, Ergriffenheit, Sanftheit und Feinfühligkeit sehr gut nachfühlen kann.
Die Autorin macht auch deutlich, wie vielfältig die Wege zur Meditation sind. Während das Zen-Kloster besonderen Wert auf Rituale und hierarchische Regeln legte, erlebte sie mit einem anderen Trainer eine mehr alltagsbezogene Übungsform mit Retreats und persönlichem Austausch. In ihrer Assistenzzeit zur Dharma- und Meditationslehrerin reiste sie zwei Jahre lang mit ihm um die Welt und stieß auf neue interessante Formen wie Meditationen im Liegen.
In der sprachlich sehr schönen und berührenden Schilderung ihrer inneren Entwicklung liegt für mich die besondere Stärke dieses Buches. Nicole Stern ist überzeugt, dass man das Muße-Prinzip nicht verstehen, sondern nur selbst erleben kann – daher lässt sie uns an ihren persönlichen Erfahrungen und Einsichten teilhaben und schildert ohne Scheu, wie sie ihre Ehekrise überwand oder neue Aspekte der Muße in der Lust und Intimität entdeckte. Statt nur oberflächliche Tipps zu geben, wie man mehr Entspannung in den Alltag bringen kann, war es ihr wichtig, Muße in seiner ganzen Tiefe zu begreifen und zu vermitteln. So ermuntern die Fragen am Ende jeden Kapitels dazu, einen Bezug zur eigenen Lebenssituation zu schaffen und sie zu reflektieren. Mich hat die Einsicht, dass Muße sowohl während einer Tätigkeit als auch beim Nichtstun entstehen kann, überrascht. Nicht jeder wird nach der Lektüre gleich einen Meditationskurs besuchen, doch zumindest weiß man, wie man den Nährboden für mehr Muße und inneren Freiraum schaffen kann.

Verhinderte Studie
Gibt es ein Projekt, das Ihr ewig vor Euch herschiebt? Dann geht es Euch wie dem Ich-Erzähler in „Out of sheer rage“ („Aus schierer Wut“) von Geoff Dyer. Vor Jahren beschloss er, eine Studie über den amerikanischen Schriftsteller D.H. Lawrence, sein großes Vorbild und Schöpfer der „Lady Chatterley“ zu schreiben, doch bisher ist es bei der Absicht geblieben.
Dabei mangelt es nicht an den nötigen Vorbereitungen: Er hat Lawrence’ Geburtsstadt Eastwood besucht, jede Menge Biografien gelesen, Fotografien gesammelt und sich Notizen gemacht. Doch selbstkritisch stellt er fest, dass ‚sich Notizen machen’ gleichzusetzen ist mit Aufschieben. Auch an Ausreden mangelt es dem Erzähler nicht. Ein Grund, warum er noch nicht mit der Studie anfangen konnte, war eine Romanidee. Er war drauf und dran, die Studie hinzuschmeißen und sich auf den Roman zu stürzen – bis er merkte, dass die beiden Projekte derart in Konflikt gerieten, dass er besser beide Vorhaben aufgab.
Seine Unentschlossenheit betrifft nicht nur sein Schreiben, sondern so ziemlich alle Lebensbereiche. Das fängt schon mit seinem Wohnort an. Von Paris – einem denkbar ungeeigneten Ort für sein Projekt, da Lawrence die Stadt überhaupt nicht mochte – zieht er nach Rom in das Apartment seiner Freundin Laura. Dort ist es im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt, um zu arbeiten. Eine Einladung von Freunden auf die griechische Insel Alonissos müsste doch die ideale Lösung sein. Dort hat er alle Zeit der Welt, verfällt jedoch in eine völlige Lethargie.
Er reist an die verschiedenen Lebensorte von D.H. Lawrence, darunter Sizilien, New Mexico und Amerika, amüsiert sich über Land und Leute, findet allerdings nirgendwo den idealen Ort, um mit der Studie zu beginnen. Nicht einmal ein Zimmer in Montepulciano mit Aussicht auf die toskanische Landschaft würde sich seiner Meinung nach eignen, da man dort nur den Ausblick genießen würde, aber keinesfalls zum Schreiben käme. Seine ständig sich wiederholenden Gedanken rund um die Unmöglichkeit, zur Tat zu schreiten, betonen nur noch die Tatsache, dass er sich im Kreis dreht und keinen Schritt vorwärts kommt. Das, was der Erzähler am besten beherrscht ist, etwas nicht zu tun, sei es lesen, schreiben oder Tennis spielen. Dafür, dass Geoff Dyer sich immer wieder erfolgreich vor der Arbeit drückt, ist doch – wenn auch keine akademische Studie über D.H. Lawrence – ein origineller und schwarzhumoriger Reisebericht herausgekommen, mit dem sich so manch Kreativer, der schon mal in einer Schaffenskrise steckte, garantiert identifizieren kann.
Die abgebildete Tür führt übrigens zum Apartment Romeo del Babuino, das wir während eines Aufenthalts in Rom einmal gemietet haben und sehr zu empfehlen ist.

Zwei Spatzen mit gebrochenen Flügeln
Was ist das wohl für ein Gefühl, als Bahnhofswärter zu arbeiten und tagtäglich Reisende zu beobachten ohne selbst jemals den Bahnhof zu verlassen? Genau solch ein Leben führt Michele Airone, Protagonist in dem Roman „Die wundersame Reise eines verlorenen Gegenstands“ von Salvatore Basile.
Uns wäre das sicher zu fad, aber Michele ist mit seinem ereignislosen Leben zufrieden. Sein Alltag ist völlig auf den Rhythmus der Bahnstation im kleinen Küstendorf Miniera di Mare ausgerichtet. Immer um die gleiche Zeit blickt er morgens dem abfahrenden Interregio nach, abends empfängt er ihn wie eine Ehefrau, die von der Arbeit zurückkehrt. Außer dem Zug gibt es in seinem Leben nichts Bedeutendes – außer vielleicht die beträchtliche Zahl von Fundsachen, die sich in seiner Wohnung angesammelt haben und ihm Trost spenden. Als er sieben war, wurde er von seiner Mutter aus heiterem Himmel verlassen. Seitdem traut er niemandem mehr und lebt zurückgezogen in seinem Schneckenhaus.
Das ändert sich, als eine junge Frau namens Elena buchstäblich in seine Wohnung hereinschneit. Mit ihrer Gesprächigkeit, Neugier und fröhlichem Temperament bringt sie Micheles Alltag und Gefühle durcheinander. Als Michele sein Tagebuch, das er einst seiner Mutter mitgab, im Zug findet, ermutigt Elena ihn, sich auf die Suche zu begeben. Von da an begleiten wir den Protagonisten, den wir längst ins Herz geschlossen haben, auf seiner ersten Zugreise, die ihn ins Dorf Ferrusivo führt. Der schwierige ‚Abnabelungsprozess’ von seinem Zuhause und seine ersten Versuche, mit Menschen in Kontakt zu kommen, wird zauberhaft erzählt. Ganz gleich, ob er sich mit einem glücklichen Ehepaar in einer Trattoria unterhält oder sich das Gejammer eines unzufriedenen Inspektors anhört – ich hatte fast das Gefühl, neben ihm zu sitzen und die Atmosphäre zu spüren. Die Suche nach seiner Mutter wird auch eine Reise in Micheles Vergangenheit, denn eine Begegnung, ein Duft oder ein Geschmack weckt Kindheitserinnerungen, die mit dem aktuellen Geschehen geschickt verwoben werden.
Ich finde die Idee und Dramaturgie dieses Romans einfach großartig! Micheles Reise, seine Erlebnisse und seine persönliche Entwicklung sind eine Metapher für das ganze Leben. Er fasst Mut, wächst über sich hinaus, wird euphorisch, erlebt dann eine Niederlage, ist enttäuscht und desillusioniert, fällt ins Bodenlose, wagt dennoch einen neuen Versuch ... und lernt dabei immer wieder neue Seiten an sich kennen. Es dauert eine Weile, bis er begreift, dass auch Elena genau wie er ein Spatz mit gebrochenen Flügeln ist, und was es bedeutet, zu vergeben und einen geliebten Menschen ganz und gar in sein Leben einzulassen.

Sein Traumschiff finden
Die Entscheidung zu einer Kreuzfahrt will wohl überlegt sein. Ist man erst einmal auf dem Schiff, gibt es so leicht kein Entkommen mehr. Eine wertvolle Hilfestellung könnte das Buch „Wo bitte geht’s zum Meer“ von Bettina Querfurth sein. Die Autorin macht uns nicht nur mit dem A bis Z der Kreuzfahrt vertraut, sondern berichtet auch aus ihrem reichen Erfahrungsschatz.
Schon der Einschiffungstest ist ein großes Lesevergnügen. Er eignet sich nicht nur, um seine eigene Tauglichkeit für Kreuzfahrtreisen zu testen, sondern vermittelt eine erste Vorstellung, was einen erwartet. Hat man den Test halbwegs bestanden, kann man zum nächsten Schritt übergehen: die Planung und Vorbereitung. Diese gestaltet sich aufwändiger als ich dachte: Wähle ich ein großes oder kleines Schiff? Was ist mir wichtiger: das Schiff oder die Route? Um solche Fragen im Vorfeld zu klären, bedarf es gründlicher Recherchen. Die Autorin selbst hat große Freude daran, sich mit Prospekten einzudecken und sie im Detail zu studieren, um „ihr Traumschiff zu finden“. Sie gibt Tipps, wie man sich am besten einen Überblick verschafft und sich auf ein Beratungsgespräch im Reisebüro vorbereitet.
Welche Strapazen bis zur tatsächlichen Einschiffung lauern können, schildert Bettina Querfurth mit viel Witz am Beispiel einer organisierten Busreise zum Hafen. Auch nach der Ankunft braucht man starke Nerven. Ihre Empfehlung: Sich überall einzureihen, auch wenn man nicht weiß, wofür man sich anstellt. So kann man sichergehen, dass man weder bei der Tischzuteilung noch bei der Ausflugsbuchung leer ausgeht. Wenn sie beschreibt, wie die hungrigen Passagiere im Treppenaufgang vor dem Büfettrestaurant lange Schlangen bilden, vergeht mir schon die Lust. Auch die Kleiderordnung und der typische Smalltalk beim Essen wären für mich ein Alptraum. Andererseits: Wann hat man schon die Gelegenheit, auf einem Schlag so viele verschiedene Kurse auszuprobieren und neue Hobbies zu entdecken wie Obst- und Gemüseschnitzen, Handtücher falten, Cha Cha Cha, Bridge, Fechten oder Karaoke-Singen? Eine schwimmende VHS liegt einem da zu Füßen.
Durch meine Neigung zur Seekrankheit und viele andere Gründe, die mir dieses Buch nur bestätigt hat, kommen Kreuzfahrten für mich nicht in Frage. Umso mehr habe ich es genossen, mit den Augen der Autorin und ihrer Mitreisenden das ganz schön verrückte Leben auf dem Schiff und Landgänge nach St. Petersburg und Santorin zu erleben.

Schreiben rund um die Welt
Brauchen wir wirklich Geschichten? Diese provokante Frage stellt Tim Parks in seinem Buch „Where I am reading from“. („Worüber wir sprechen, wenn wir über Bücher sprechen“). Der Engländer, der seit über dreißig Jahren in Italien lebt und an der Universität Mailand 'Literarisches Übersetzen' lehrt, weiß, wovon er spricht. Er ist preisgekrönter Romancier, Autor von zahlreichen Sachbüchern und Essays, Rezensent und Übersetzer.
In 37 Essays reflektiert er über das Schreiben und Geschriebenes und welche Faktoren uns in der Auswahl unserer Lektüre beeinflussen. Er nimmt auch den Literaturbetrieb unter die Lupe und fragt sich, was Literatur zu guter Literatur macht. Wie autobiografisch darf ein Roman sein und inwieweit ist man bereit, Nahestehende durch die Veröffentlichung persönlicher Details zu verletzen? Wie wichtig ist Schriftstellern die Anerkennung des Publikums? Parks’ Augenmerk gilt aber vor allem der Welt, in der wir leben und die sowohl das Schreiben als auch das Lesen prägt. Als Übersetzer beschäftigt ihn zum Beispiel, dass globale Romane, die sich leichter übersetzen und international vermarkten lassen, regional gefärbte Literatur immer mehr verdrängen.
Das Buch enthält nicht nur anregende und kritische Betrachtungen, sondern auch interessante literarische Beispiele und unterhaltsame Anekdoten. So amüsiert sich Parks über dumme Fragen, die häufig in Signierstunden gestellt werden, wenn Leser versuchen, einen Zusammenhang zwischen dem Gelesenen und dem Autor als Mensch herzustellen. Für alle Literaturliebhaber eine intellektuell fordernde Lektüre, die zu Diskussionen anregt.

Suhl dich im Leben
Liest man die Lebensgeschichte von Elmar Rassi, so könnte man sagen, dass er (Schweine-)Glück im Unglück hatte. Nachdem er als Kind aus seiner Heimat Aserbaidschan fliehen musste, bekam er die Chance, in Deutschland neu anzufangen. Ausschlaggebend für die positive Wende war vor allem seine dankbare und offene Haltung, sein Leben trotz schwieriger Startphase selbst in die Hand zu nehmen. Die Glückszutaten, die er nach und nach für sich aufspürte, um ein erfülltes Leben zu führen, und zu zehn universellen Regeln verdichtete, stellt er in seinem Buch „Schweineglück – Lass los und suhl dich im Leben“ vor. Dazu zählt zum Beispiel, vergangene negative Erlebnisse und überflüssigen Ballast loszulassen und im Hier und Jetzt zu leben, sich nicht von der Routine den Tag diktieren zu lassen und seine Träume und Ziele zu visualisieren – Themen, die der eine oder andere Leser sicher schon aus anderen Ratgebern kennt. Das Besondere an diesem Buch ist die Art und Weise der Vermittlung.
Der Autor nimmt den Leser behutsam an die Hand und zeigt anhand von Beispielen aus dem Alltag und eigenen Erfahrungen, mit welchen Hürden wir meist konfrontiert werden. Dass jedes Kapitel mit einem Foto von ihm in verschiedenen Lebenslagen beginnt, mag etwas befremdlich sein, doch passt es zum Konzept dieses Buches, denn man nimmt Elmar Rassi ab, dass er voll und ganz hinter dem steht, was er schreibt. Es wäre ein Leichtes, sich aus vielen vorhandenen Töpfen zu bedienen und allgemeine Weisheiten über ein glückliches Leben aneinanderzureihen, doch hier spürt man immer wieder, dass der Autor all das, was er schreibt, auch selbst lebt. Sein Ton ist nie belehrend, sondern bescheiden, warmherzig und aufmunternd. Er lässt seine Ratschläge auch nicht einfach so stehen, sondern gibt Anleitungen, wie man am besten die gewünschten Veränderungen herbeiführen kann. Ihm selbst ist dies offensichtlich gut gelungen: Er lebt in seiner Wahlheimat Köln und ist als Glückscoach auf der AIDA sowie als Speaker und Motivator erfolgreich.
Da mich die Thematik sehr interessiert, habe ich schon sehr viele Bücher dazu gelesen. Trotzdem fand ich wieder neue interessante Anregungen. So gefällt mir der Gedanke, seine Angst vor einer persönlichen Schwäche oder vor einer schwierigen Aufgabe nicht nur zu akzeptieren und zu überwinden, sondern sie in seine größte Stärke umzuwandeln. Erfinderisch zu sein und den Augenblick zu nutzen, wenn man dem nächsten Hindernis begegnet, ist ebenfalls ein Rat, den ich beherzigen möchte. Sehr schön fand ich das Beispiel, wie Eltern je nach ihrer Haltung und Reaktion die Fantasie ihrer Kinder fördern oder ausbremsen und positive oder negative Glaubenssätze schaffen können, die die weitere Entwicklung prägen. Wahrnehmen, stoppen und umprogrammieren lautet die Formel, die Rassi uns ans Herz legt, um neue Wege im Leben einschlagen zu können. Das Buch wird durch positive Affirmationen, Parabeln und Geschichten seiner Großmutter aufgelockert, ist klug aufgebaut und auch optisch sehr schön gestaltet. Zu einem Live-Event lädt der Glückscoach am kommenden Donnerstag, dem 9. März um 19 Uhr ein.

Boshaft und skrupellos
Wer Probleme mit dem Älterwerden hat, sollte nicht unbedingt zu dem neuen Buch „Stone Mattress“ („Die steinerne Matratze“) von Margaret Atwood greifen. In neun Kurzgeschichten zeichnet die kanadische Autorin ein ziemlich abstoßendes Bild dessen, was uns mit fortschreitendem Alter erwarten kann. Wie schonungslos sie dabei vorgeht, zeigt eine Geschichte, die in einem luxuriösen Seniorenheim spielt. Die langsam erblindende Wilma ist kaum in der Lage, auch nur irgendetwas ohne Hilfe zu bewerkstelligen. Sie lebt in ständiger Angst, in der Dusche auszurutschen, vereinbart Termine zum Zehennägel-Schneiden und hat ständig seltsame Halluzinationen. Von Tobias lässt sie sich erzählen, welche Dramen sich draußen abspielen: Verkleidete Demonstranten blockieren den Eingang und rufen „Fackelt die Alten ab“, so auch der Titel dieser Erzählung. Es sei Zeit, dass die Alten den Mittelalten ihren Platz überlassen.
Auch die übrigen Charaktere haben mit dem stetigen Abbau ihres Körpers und der jüngeren Generation, von der sie verdrängt werden, zu kämpfen. Statt zu resignieren oder in Selbstmitleid zu baden, entwickeln sie jedoch ungeahnte Energien und Fantasien, um mal stolz, mal boshaft, ihren Platz in der Welt zu behaupten. Constance zum Beispiel hat einen Fantasykosmos namens Alphinland erschaffen, wo sie mit ihrem verstorbenen Ehemann Ewan weiterlebt. Irena war klug genug, einen Vertrag mit ihrem Geliebten und Autor eines erfolgreichen Horrorklassikers abzuschließen, der sie zur Millionärin macht. Und Verna, die auf einer Arktisreise Bob wiedertrifft, der sie einst nach einem Highschool-Ball vergewaltigte, tüftelt einen perfiden Plan aus, um Rache zu üben.
Während der Lektüre läuft es einem immer wieder kalt den Rücken runter – und das liegt nicht am eisigen Ambiente dieser „wicked tales“, wie die Autorin ihre Geschichten genannt hat, sondern vielmehr an der morbiden und dystopischen Zukunftsvision, die Atwood in Edgar Allan Poe-Manier vor unseren Augen entfaltet.

Zerbrechliches Leben
„Our house was taken away on the back of a truck one afternoon late in the summer of 1979“. So beginnt der Roman „All my puny sorrows“ („Das gläserne Klavier“) der kanadischen Schriftstellerin Miriam Toews. Dieser originelle Satz genügte, um mich für den Kauf dieses Buches zu entscheiden. Nun könnte man eine skurrile und vergnügliche Familiengeschichte erwarten. Zum Glück war ich vorgewarnt, dass dem nicht so ist. Ganz im Gegenteil: Die Ich-Erzählerin Yolandi erzählt von der bedingungslosen Liebe zu ihrer selbstmordgefährdeten Schwester Elfrieda, kurz Elf.
In Rückblicken erfahren wir, wie sie als Kinder von Mennoniten in der kanadischen Provinz aufwuchsen. Schon immer stand Yoli im Schatten von Elf und deren künstlerischen Begabung. Doch Elf hat das Suizid-Gen des Vaters geerbt und will nicht mehr leben. Nach einem missglückten Selbstmordversuch landet sie in der Psychiatrie eines Krankenhauses.
Yoli lässt uns hautnah erleben, wie schwer es ist, sich in einen Menschen mit Todessehnsucht hineinzuversetzen. Was geht in ihren Köpfen vor? Wie kann man ihre Lebenslust wieder wecken? Während der Krankenbesuche fragt sich Yoli, ob Elf über Gründe nachdenkt, am Leben zu bleiben oder über Möglichkeiten, ihr Leben zu beenden. Dabei hätte sie allen Grund, glücklich zu sein: Sie hat einen Ehemann, der sie über alles liebt, und wird als Konzertpianistin umjubelt. Ist ihr Leben so perfekt, dass sie es nun beenden kann? Yoli dagegen sieht ihre Existenz als gescheitert: sie ist beruflich erfolglos, pleite und und schlägt sich nach zwei missglückten Ehen als alleinerziehende Mutter durch. Und doch legt sie eine unbändige Energie, Hartnäckigkeit und Leidenschaft an den Tag, wenn es darum geht, ihre Schwester am Leben zu erhalten. Während sie überlegt, ob sie Elf nicht in ein gefährliches Land schicken sollte, wo es ums nackte Überleben geht, verlässt sich Elfs Ehemann Nic lieber auf die regelmäßige Einnahme der Medikamente. Auch wenn sie unterschiedlich mit ihrer Situation umgehen, teilen sie doch den Glauben an ein Wunder und die Hoffnung, dass sie doch noch auf Welttournee gehen könnte. Trotzdem erscheint es Yoli zunehmend grausam, jemanden gegen seinen Willen zum Leben zu zwingen. Umso zerrissener fühlt sie sich, als Elf sie bittet, sie in die Schweiz zu begleiten und ihr beim Sterben zu helfen.
Miriam Toews kehrt in diesem autobiografisch geprägten Roman ihr Innerstes nach Außen und zieht uns in ihre widersprüchliche Gedankenwelt hinein. Auch wenn die Geschichte bedrückend und aufwühlend ist, sorgt sie durch witzige und ironische Passagen auch für heitere Momente und bietet mit großer Erzählkraft vielfältige Einsichten in ein ernstes Thema.