Archiv 2016-11

Den Alltag zelebrieren
Ich berichtete Euch schon einmal von der Schriftstellerin Nina Nell, die mich mit ihrem Spiel der Götter begeistert hat. „Nicht wünschen“ und „Absichtslos spielen“ lauteten ihre Formeln, um mehr Glück und Zufriedenheit in sein Leben zu bringen. Eine ähnliche Vorstellung vertritt auch Neil Parisha aus Toronto, der eine Gleichung aufgestellt hat, mit der ich mich absolut identifizieren kann: „To want nothing + to do anything + to have everything“. Dies ist seine Happiness Equation, die er in seinem gleichnamigen Buch erläutert.
Inhaltlich kam mir vieles bekannt vor – besonders aus der Positiven Psychologie. So zählt Neil Parisha viele kleine Tätigkeiten auf, die man leicht in den Alltag integrieren kann und die Stimmung steigern: zum Beispiel anderen etwas Gutes zu tun, sich auf eine Sache zu fokussieren statt Multitasking zu betreiben, nicht ständig Probleme zu sehen, sondern dankbar für all die positiven Dinge zu sein. Bewegung mache uns glücklich oder sich hinzusetzen und für 20 Minuten über eine positive Erfahrung zu schreiben.
Ein Tipp, der mir besonders gefiel, lautet „Do it for you“. Wie oft ist man bemüht, mit seinen Arbeiten anderen zu gefallen. Bleibt das positive Feedback aus, kommen einem gleich Zweifel, ob man auf der richtigen Schiene ist. In solchen Situationen finde ich den Gedanken, Dinge einfach aus Spaß für mich zu machen, sehr aufmunternd. Mehr über seine Lebenserfahrungen und seine Top 1000 der „Awesome Things“, auf die er gestoßen ist, kann man in seinem Blog nachlesen.

Märchenhafte Kurzprosa
Den Namen Tania Blixen assoziiere ich mit dem Roman und der Verfilmung „Jenseits von Afrika“. Die bewegende Geschichte und starken Bilder sind mir jetzt noch präsent. In der Geschichtensammlung „Nordische Nächte“ entführt uns die Autorin in ihre nordische Heimat und stimmt uns ein wenig auf die bevorstehenden Wintermonate ein. Die Erzählung „Saison in Kopenhagen“ zum Beispiel spielt im Jahre 1870 und schildert, wie die Wintersaison am Neujahrsmorgen mit festlichen Empfängen bei Hofe eröffnet wird und der Landadel die Stadt erobert. Die Söhne der Magnaten reisen durch Europa, während sich ihre Schwestern künstlerischen Tätigkeiten widmen und Klavier-, Gesangs- und Malstunden nehmen. Elegisch und opulent beschreibt die Autorin das Savoir Vivre in der damaligen Zeit, die glänzenden Equipagen, die vor den Palästen halten, und die feine Gesellschaft, die sich auf Galanächten vergnügt. Dabei ist es gar nicht einmal der Luxus, den die Hauptfigur Ib in die große Welt lockt, sondern vielmehr das Gefühl der Freiheit und Grenzenlosigkeit.
Die Sehnsucht, das volle Potenzial, das das Leben zu bieten hat, auszuschöpfen, scheint die Autorin zu faszinieren und spiegelt sich in mehreren Erzählungen wider. So zaubert die Meisterköchin Babette in der wohl bekanntesten Erzählung von Blixen ein Festmahl für einen Abend, verbrät im wahrsten Sinne des Wortes ihre Erbschaft und ist glücklich, weil sie sich als Künstlerin verausgaben und den Gästen eine Freude machen konnte. Erstaunt hat mich, wie unterschiedlich die Themen und der Ton der Erzählungen sind. Mal geht es um gesellschaftliche Normen und die Gier nach sozialem Aufstieg, mal um die schwierige Beziehung zwischen Künstler und Publikum und die Frage, was die Kunst dem Menschen nutzt. Auch bissige Ironie ist der Autorin nicht fremd, wie die Geschichte über die Familie de Cats beweist. Über mehrere Generationen sind die Familienmitglieder scheinbar so rechtschaffen, dass sie als das Gewissen des Landes bezeichnet werden. Sie scheuen keine Mühe und Kosten, um ihren Ruf aufrechtzuerhalten und sind sich bewusst, dass dies nur funktioniert, wenn ein schwarzes Schaf in der Familie alle Schwächen und Sünden auf sich nimmt. Märchenhafte Züge dagegen hat eine Geschichte, in der es einem jungen Königssohn gelingt, durch Weisheit und Mut einen Krieg zu verhindern. Tania Blixen verwebt den Zauber verschiedener Zeiten und Kulturen zu feinster Prosa und schmückt sie elegant mit märchenhaften und mystisch funkelnden Pailletten.

Fenster in neue Welten
Der November steht ganz im Zeichen von Lesen und Schmökern. Als hätte ich nicht schon genügend Anregungen auf der Münchner Bücherschau mitgenommen – nun hat das Flow Magazin auch noch erstmals ein Lesebuch als Special herausgebracht. Da konnte ich natürlich nicht widerstehen, zumal mir die letzten Sonderhefte „Ferienbuch“ und „Achtsamkeitsbuch“ schon so gut gefallen haben.
Diesmal dreht sich alles um die Freude an Büchern. Ein Artikel erläutert zum Beispiel, warum die Emanzipation ohne Romane nicht denkbar wäre und zeigt wunderschöne Zeichnungen von lesenden Frauen. Es werden Lebenswege berühmter Autorinnen, vielfältige Motive von Lesezeichen und ausgefallene Orte für Leseratten vorgestellt: zum Beispiel das B2B Boutique Hotel in Zürich mit 33.000 antiquarischen Büchern in der Lobby oder das Book and Bed Hostel in Tokio, das ich bei meiner nächsten Japanreise nicht verpassen darf.
Es ist schon faszinierend, was Romane bewirken können – als Inspirationsquelle, als Rückzugsmöglichkeit oder als emotionale Stütze und Trost in schwierigen Lebensphasen. Für manche Leser sind sie Fenster zu neuen Welten, für andere ein Mittel, sich persönlich weiterzuentwickeln und geistig zu entfalten. Das Lesebuch enthält auch Ideen und praktische Übungen, um einmal anders als gewohnt in Bücher einzutauchen.
Ein Augenschmaus sind wieder die vielen Illustrationen, die die Interviews, Berichte und Buchempfehlungen bereichern. Einige davon schmücken sogar Prada-Läden in New York. Und für Papier-Freunde gibt es viele Extras wie ein Büchertagebuch, ein Brushlettering-Projekt, Postkarten, Lesezeichen, Poster und Bucheinbandpapier.

Die glücklichsten Minuten sind blau
Was würde ich machen, wenn ich eine Million Minuten zur freien Verfügung hätte? Diese Frage stellt man sich unweigerlich, nachdem man das Buch „Eine Million Minuten“ von Wolf Küper gelesen hat. Es handelt sich um einen ganz ungewöhnlichen Reisebericht – und zwar in vielerlei Hinsicht. Zunächst die Dauer der Reise: Welche Familie beschließt schon, statt zwei oder drei Wochen gleich für 694 Tage unterwegs zu sein? Auslöser ist der Wunsch der behinderten Tochter Nina, die sich 1 Million Minuten Zeit von ihrem Vater wünscht. Dieser machte als Tropenforscher und Umweltgutachter für die Vereinten Nationen stetig Karriere, jettete von einer Konferenz zur nächsten ... und ließ schließlich ein sehr attraktives Angebot sausen, um mehr Zeit für Nina, seinen zweijährigen Sohn Simon und seine Frau Vera zu haben.
Ihre erste Station ist Phra Thong in Thailand, wo sie noch recht komfortabel in einer Beachfrontvilla untergebracht sind und entspannte Tage am Strand verbringen. Von dort geht es weiter nach Yao Yai, wo sie einen Kulturschock erleben, und später nach Australien und Neuseeland. Da ich bisher noch keines dieser Länder besucht habe, war es umso spannender für mich, die Familie auf ihrem Abenteuer zu begleiten, mit ihnen Expeditionen in die Regenwälder von Queensland zu unternehmen und mit dem Wohnmobil durch Neuseeland zu kurven.
Während der Reise macht sich Wolf Küper viele Gedanken über sein Leben, seine Zukunft und auch die Bedeutung von Freiheit und Reisen. Er kann gar nicht anders, denn seine Tochter bringt durch ihre vielen Fragen und unbekümmerte Sicht der Dinge seine bisherige Lebenseinstellung ganz schön ins Wanken. Bedeutet Reisen das Gegenteil von To-Do-Listen abarbeiten? Ist ‚Zuhause’ eine Sammlung von Gewohnheiten? Warum sind Reiseeindrücke im Alltag so schnell verklungen? Diese Überlegungen brachten auch mich zum Nachdenken.
Mir gefiel nicht nur der sympathische Erzählstil des Autors, sondern auch die Symbolik, die er spielerisch in seinen Reisebericht einwebt: zum Beispiel wie er durch den Verkauf seiner Uhrensammlung Zeit gewann oder Dinge einfach auf sich zukommen ließ und neugierig auf den Beruf des Treibgutsammlers wurde. Mich würde interessieren, wie sehr die Erlebnisse nicht nur die Eltern, sondern auch die Kinder Nina und Simon geprägt haben. Nicht jeder bekommt schließlich die Gelegenheit, in so jungen Jahren so viel ‚Lebenserfahrung’ zu sammeln und herauszufinden, warum die glücklichsten Minuten blau sind.

Schmökerwochen im Gasteig
Wer sich mal wieder richtig Zeit zum Schmökern nehmen möchte, ist seit 10. November im Gasteig bestens aufgehoben: dort läuft die 57. Münchner Bücherschau. Von morgens 8 Uhr bis nachts um 23 Uhr kann man die Stände von rund 300 Verlagen abklappern und deren Programme kennenlernen. Daneben locken zahlreiche Veranstaltungen wie Lesungen, Diskussionen und Workshops für Groß und Klein.
Viel Zeit verbrachte ich vor allem bei den unbekannteren Verlagen und den schön illustrierten Fachbüchern und Bildbänden. Auffällig war neben den vielen DIY-Büchern die große Auswahl an Ausmalheften. Es gab sogar eins für Nerds mit verschiedenen Hardwaremotiven. Ob Computer-Freaks für solche meditativen Tätigkeiten zu begeistern sind, wage ich allerdings zu bezweifeln…
An jedem Stand liegen Kärtchen aus, auf denen man interessante Neuentdeckungen notieren kann. Meine Liste füllte sich ziemlich schnell, unter anderem mit folgenden Titeln:
1) „Atlas der seltsamen Häuser und ihrer Bewohner“ von Niklas Mark.
Der Autor stellt fünfzehn ungewöhnliche Bauten aus aller Welt vor und erzählt die Lebensgeschichte ihrer Erbauer oder Besitzer.
2) „Wir sind Chef: Wie eine unsichtbare Revolution Unternehmen verändert“
Hermann Arnold stellt moderne Führungsformen vor, bei denen Führungsaufgaben auf alle Mitarbeiter im Team verteilt werden.
3) "Sozusagen Paris" von David Germania
Im Mittelpunkt steht ein Schriftsteller, der einen Roman über seine große Jugendliebe geschrieben hat und nach einer Lesung dieser Romanfigur begegnet.
4) „Die Welt (fast) zum Nulltarif: Das ultimative Reisebuch für Schnäppchenjäger“
Warum immer Führungen buchen oder Eintritt bezahlen, wenn es so viele Sehenswürdigkeiten und Erlebnisse gibt, die nichts kosten? In dem sehr schön bebilderten Band finde ich sicher ganz allgemein viele Anregungen für interessante Reiseziele.
Soviel steht fest: Der Lesestoff geht mir diesen Winter garantiert nicht aus.

Saturday Night Fever
Passend zu der neuen Jacke habe ich nun auch die ideale Gute-Laune-Musik für den Winter. Nachdem ich den Soundtrack „Last Days of Disco“ schon zig Mal rauf und runter gespielt habe, suchte ich nach einer neuen Compilation – und fand „Pure… disco/funk“. Mit den 68 Songs auf 4 CDs holt man sich „the funkiest disco music“ ins Haus oder ins Auto und fühlt sich in die wilden Jahre der Disco-Ära und in Nachtclubs wie das berüchtigte Studio 54 in New York versetzt.
Zu meinen Lieblingssongs zählen „Give it Up“ von KC & The Sunshine Band, „Rock the Boat“ von Hues Corporation und „Love Really Hurts Without You“ von Billy Ocean. Da fällt es einem schwer, still zu sitzen. Die Serie „Pure…“ bietet übrigens noch eine ganze Reihe von Musikrichtungen, zum Beispiel Hip-Hop, Filmmusik, Brazil und sogar keltische Musik.

Der Sound aus der Jacke
Nach den fast sommerlichen Temperaturen im Oktober hat uns der Winter eiskalt erwischt. Da ist man dankbar für alles, was die Stimmung hebt: ein leckerer Chai-Tee, ein spannendes Hörbuch … oder schöne Winterklamotten! Letzte Woche zum Beispiel kaufte ich die perfekte Jacke für Reisen. Sie ist nicht nur federleicht und warm, sondern hat auch ein äußerst praktisches Feature: integrierte Kopfhörer. In der Innentasche kann ich mein Smartphone verstauen und anschließen. Der Sound ist erstaunlich gut.
Während Harry voll auf seine Bluetooth-Kopfhörer setzt, gebe ich mit meinem modischen Accessoire gern ein bisschen an. Das Besondere an den Kopfhörern ist nämlich das Kabel, das sich wie ein Reißverschluss aufziehen lässt. Mit solchen netten Gimmicks lässt sich auch der Winter gut überstehen.

Die verschollene Elefantenforscherin
Von Jodi Picoult habe ich schon sehr viele Romane gelesen, doch immer wieder gelingt es ihr, mich zu verblüffen, so auch mit ihrem neuesten Werk „Die Spuren meiner Mutter“. Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist das spurlose Verschwinden von Alice Metcalf, einer Wissenschaftlerin, die einen tragischen Unfall im Elefantenreservat von New Hampshire miterlebte. Die Tochter Jenna kann nicht glauben, dass ihre Mutter sie damals freiwillig zurückließ und macht sich mit 13 Jahren, 10 Jahre nach dem Vorfall, auf die Suche. Die einzige Verbindung zu ihrer Mutter sind ihre Forschungsarbeiten, ihre einzige Hoffnung ein Medium namens Serenity, die ihr bei der Suche helfen soll.
Mit der Unterstützung von Privatdetektiv Virgil Stanthope, der damals als Polizeibeamter den Fall betreute, folgen sie den Spuren der verschollenen Elefantenforscherin. Parallel erfahren wir aus der Perspektive von Alice, was zuvor alles geschah, wie es sie nach Botswana verschlug, um über Elefanten zu forschen und wie sie Jennas Vater kennenlernte.
Ich wusste gar nicht, dass Jodi Picoult so humorvoll schreiben kann! Der verbale Schlagabtausch zwischen der mit allen Wassern gewaschenen Jenny, der kuriosen Serenity, die glaubt, ihre Gabe zu sehen verloren zu haben, und dem abgehalfterten Virgil bringen einen immer wieder zum Schmunzeln. Ganz anders die Passagen, in denen Alice zu Wort kommt. Hier dominieren starke Emotionen, durchwebt mit Hintergrundwissen über das Trauerverhalten von Elefanten. Die Autorin wechselt nicht nur souverän den Erzählstil – auch der Plot ist raffiniert konstruiert, denn Jennas Nachforschungen und Alice’ Bericht liefern sich ein Rennen und als Leser ist man mit seinem Wissen dem Suchtrupp ein wenig voraus – bis sich schließlich beide Erzählstränge in der Gegenwart treffen und für ein Ende sorgen, bei dem die Bezeichnung „überraschend“ glatt untertrieben wäre.
Jodi Picoult zeigt einmal mehr, welch großartige Geschichtenerzählerin sie ist. Sie schreibt empathisch, sensibel, fesselnd und jongliert mit verschiedensten Themen, die sich elegant zu einem Ganzen fügen. Die Geschichte über unerschütterliche Mutterliebe und Trauer berührt, unterhält und ist darüber hinaus sehr lehrreich, denn man erfährt nicht nur viel über das Verhalten von Elefanten, sondern auch die Forschungsarbeit in Wildreservaten. Das sehr schön gestaltete Cover trägt obendrein zu einem optischen Lesevergnügen bei.

Charlie Resnicks letzter Fall
Der britische Schriftsteller John Harvey hat sich vor allem mit seiner Krimireihe rund um den Ermittler Charlie Resnick einen Namen gemacht – einen Jazzliebhaber, der in Nottingham Verbrechen jagt. Nach elf Fällen hat sich der Polizist zur Ruhe gesetzt, doch im aktuellen zwölften Band mit dem Titel „Unter Tage“ ist seine Hilfe erneut gefragt. Diesmal spielt die Geschichte vor dem Hintergrund des Bergarbeiterstreiks 1984/85, der nicht nur das Land, sondern auch Regionen, Gemeinschaften und sogar Familien spaltete. 30 Jahre später werden in den Fundamenten eines Abrisshauses die Überreste von Jenny Hardwick gefunden. Es handelt sich um die junge Frau eines Bergmanns, die sich im Streik aktiv engagierte und plötzlich verschwand.
Charlie Resnick, der damals mit dem Fall betraut war, wird gebeten, die Ermittlerin Catherine Njoroge zu unterstützen. Die Ermittlungen scheinen jedoch von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Obwohl so manche Ungereimtheiten auftreten, scheint keiner an der Wahrheit und Auflösung des Falls interessiert zu sein. Durch Rückblenden erfahren wir Stück für Stück mehr über die Person Jenny. Erst engagierte sie sich in der Organisation der Frauen der Streikenden, dann als Rednerin und Kurier, während ihr Ehemann Barry als Streikbrecher weiterhin die Brötchen verdiente. Kein Wunder, dass die Spannungen und Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden weiter wuchs. Ist Barry damit der Hauptverdächtige?
Für mich war der Krimi in zweifacher Hinsicht lesenswert: Zum einen lernen wir neben Jennys Ehemann weitere zwielichtige Figuren wie ihre Schwester, ihren Schwager oder einen mysteriöser Verehrer kennen, die sich allesamt verdächtig benehmen, was die Spannung steigert. Zum anderen erfährt man viele Hintergründe über den Konflikt zwischen den Streikenden und Arbeitswilligen. Man kann sich gut vorstellen, wie sich die Streikbrecher damals gefühlt haben, die es gewohnt waren, als Ernährer der Familie in die Arbeit zu gehen und auf einmal dafür verurteilt wurden. Noch härter traf es Familien wie die Hardwicks, die im eigenen Haus zwei Fronten bildeten.
An wenigen Stellen schimmert ein wenig Humor durch, zum Beispiel wenn Resnick sich fragt, warum jeder gleich in die Küche rennt, um Tee zu kochen, wenn ein Polizeibeamter vorbeikommt. Doch im Ganzen überwiegt ein trister und harter Ton, der den Leser den Hass, die Ausgrenzung und Gewalt, die bis in die Gegenwart reichen und sich in ganz anderer bedrohlicher Form zeigen, hautnah spüren lässt. „Darkness, darkness“ lautet treffenderweise der englische Originaltitel des Romans, der in typischer John Harvey Manier gesellschaftliche Konflikte ins Visier nimmt und sie in einen spannenden Krimi verpackt.

Spurensuche in den Alpen
Wer sich auf die kalte Jahreszeit einstimmen möchte, liegt mit dem Hörbuch „Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod“ von Gerhard Jäger genau richtig. Am besten macht man es sich mit einem heißen Kakao und warmer Decke bequem und lauscht den Sprechern Peter Matić und Manuel Rubey, die uns in die winterliche Bergwelt entführen.
Die Geschichte handelt von dem Wiener Historiker Max Schreiber, der im Herbst 1950 in ein abgeschnittenes Tiroler Bergdorf reist, um einem 100 Jahre zurückliegenden mysteriösen Todesfall auf den Grund zu gehen. Eine Hexe soll damals verbrannt worden sein. Mit seinen Recherchen kommt Schreiber jedoch nicht weit, denn überall stößt er auf Ablehnung. Die Dorfbewohnter behandeln ihn wie einen Störenfried und weigern sich stur, über die Vergangenheit zu sprechen. So ist Schreiber gezwungen, im Alleingang Fakten zu sammeln und sich die fremde Welt zu erschließen. Als er sich in die stumme Maria verliebt und kurz darauf ein Bauer tödlich verunglückt, wächst das Misstrauen der Dorfgemeinschaft nur noch mehr. Das Unglück nimmt weiter seinen Lauf, bis plötzlich tödliche Lawinen das Dorf verschütten. Eingebettet ist dieses Geschehen in eine Rahmenhandlung, in der sich ein 80-jähriger Amerikaner 50 Jahre später ebenfalls auf die Suche nach der Wahrheit begibt. Er hofft, im Tiroler Landesarchiv mehr über den verheerenden Lawinenwinter herauszufinden und stößt auf das Manuskript von Max Schreiber.
Berge hatten für mich schon immer zwei Gesichter: friedlich und kraftvoll einerseits, bedrohlich und unberechenbar andererseits, besonders wenn die Witterung ins Spiel kommt. Durch seine bildhafte Sprache gelingt es Gerhard Jäger, uns in diese archaische Bergwelt hineinzuziehen und sie sinnlich zu erleben. Immer wieder schafft er scharfe Kontraste: zwischen der winterlichen Kälte und der lodernden Leidenschaft Schreibers zu Maria, zwischen der Schneelandschaft und der Verbrennung, die im Roman eine zweifache Rolle spielt. Einzelne Wörter und Sätze werden überdeutlich artikuliert, wiederholt und die Wirkung bekräftigt, was in starkem Gegensatz zur Stummheit von Maria steht. Man hat fast das Gefühl, dass Natur und Sprache miteinander verschmelzen. Manchmal geschieht dies sehr plakativ, was schon der Titel andeutet oder am Anfang der Geschichte, als eine tote Frau im Schnee beschrieben wird, „die Haare schwarz, die Kleidung grau, der Schnee weiß“.
Der Autor lädt die Szenen gern pathetisch auf, was vielleicht nicht jedermanns Sache ist, die bedrohlich anmutende Melange aus Mistrauen und Aberglaube, auf die Max Schreiber trifft, und seine aus den Fugen geratenden Emotionen, jedoch gut einfängt. Der melancholisch-düsteren Stimmung und der zunehmenden Spannung und Dramatik kann man sich bis zum überraschenden Ende kaum entziehen.

Vendetta im Outback
Mit extravaganten Kleidern kann man so mancher Frau den Kopf verdrehen. Das beherrscht auch Myrtle "Tilly" Dunnage, Protagonistin in dem Film "The Dressmaker – Die Schneiderin" von Jocelyn Moorhouse. Allerdings tut sie dies aus reiner Berechnung. Nachdem sie für die exklusivsten Modehäuser in Europa gearbeitet hat, kehrt sie 26 Jahre später als feine Dame in ihre australische Heimatstadt Dungatar zurück. Die Dorfgemeinschaft reagiert alles andere als begeistert, denn Tilly wurde damals als Mörderin ihres Mitschülers aus dem Ort verjagt. Tilly will nun das Unrecht, das ihr angetan wurde, aufklären und nistet sich mit ihrer Nähmaschine bei ihrer Mutter "Mad" Molly ein.
Ein selbstgeschneidertes Kleid gegen eine Information aus der Vergangenheit lautet der Deal, und so "ernäht" Tilly sich nach und nach die Gunst der Dorfbewohnerinnen. Die Entzückung ist groß, denn sie schafft es tatsächlich, den biederen Frauen durch prachtvolle Roben und Hüte Glanz und Glamour zu verleihen. Sogar Sergeant Farrat mit seiner Schwäche für Frauenkleider ist Tillis Nähkünsten verfallen. Sie braucht nur mit einer schwarzen Federboa vor seiner Nase zu wedeln und schon rückt er eine wichtige Akte zu dem damalige Fall heraus.
"The Dressmaker" basiert auf dem gleichnamigen australischen Bestseller von Rosalie Halm und ist ein sehr ausgefallener Genremix, den ich in der Form noch nie gesehen habe. Elemente aus Western, Märchen, Drama, Film Noir, Mystery-Thriller und Kammerstück finden sich darin wieder. So wird man an den typischen Auftakt von Western, Saloonszenen oder den Film "High Noon" erinnert, wenn Tilly ihren Rachefeldzug antritt. Zur Einstimmung fliegen den Dorfbewohnern statt Revolverkugeln Golfbälle um die Ohren. Kate Winslet spielt die Rolle der reizbetonten und selbstbestimmten Grandezza großartig. Mit ihrer scharfzüngigen Mutter liefert sie sich witzige Wortgefechte, während es zwischen ihr und ihrem einstigen Klassenkameraden und Adonis Teddy gewaltig knistert. Das übrige Ensemble besteht aus grotesk überzeichneten Karikaturen, die meisterhaft spießbürgerliches Denken und ländliche Engstirnigkeit verkörpern und dem Film etwas Surreales verleihen.
Der eigenwillige Erzählstil ist gewöhnungsbedürftig – einen gradlinigen Plot darf man hier nicht erwarten. Der Film lässt sich Zeit damit, die Fassade bröckeln zu lassen und Schicht für Schicht diverse Lügen und Geheimnisse offenzulegen. Nähere Aufmerksamkeit verdienen vor allem die Details und Symbole – und natürlich das Setting, das in den 1950ern angesetzt ist, und durch starke Bildkompositionen die ideale Kulisse für das skurrile Dorfleben und die rundum schräge und wendungsreiche Dramedy bildet.